Während Rory am 8. März 1971 in Leeds seine neue Band vorstellte, mit der er anschliessend auf England-Tournee ging, kamen im Frühjahr und folgenden Winter ohne sein Wissen die beiden Taste Live-LPs heraus. Das erste Album, aufgenommen im September 1970 in Montreux, wurde zur bestverkauften LP von Taste und erreichte sogar eine Chart-Notierung. Das zweite Live-Album dokumentiert darüber hinaus einen Ausschnitt aus dem wahrhaft fantastischen Isle-of-Wight-Festival, bei dem besonders der brillant improvisierte Call- und Response- Teil zwischen Schlagzeug, Bass und Gitarre in Catfish herausragt. Da Rory mit diesen beiden Aufnahmen so unzufrieden war, muß man sich fragen, wieviel besser Taste sonst gespielt haben mag. Beide LPs präsentieren jeweils nur einen unveröffentlichten Titel, das Montreux-Album Gamblin´ Blues und die Isle-of-Wight-LP Sinnerboy. Sugar Mama und Catfish kommen auf mehreren Taste-LPs vor, was den Vorteil hat, daß man hören kann, wie Taste den gleichen Song immer wieder neu interpretierte und auch in unterschiedliche Länge brachte. Rory verdiente an diesen LPs, die sich von allen Taste-LPs am besten verkauften, keinen Pfennig; auch sein gerichtliches Vorgehen blieb ohne Erfolg. All die bösen Vorwürfe der Musikkritiker zum Split der Gruppe Taste, die vor Allem um die Person Gallaghers kreisten, waren in dem Moment vergessen, in dem er mit dem ehemaligen Deep Joy-Bassisten Gerry McAvoy und Wilgar Campbell (Drums) auf ausgedehnte Tourneen ging. Im Herbst 1971 stand wieder eine ausgedehnte USA-Tournee auf dem Programm, die, zusammen mit der einfach Rory Gallagher genannten LP im Schlepptau, gemessen an den noch kleinen Auftrittsorten ein großer Erfolg wurde. So spielte er u. A. in so legendären Clubs wie dem Whiskey-A-Go-Go oder auch teilweise im Vorprogramm von Frank Zappa. Da Rorys erste Solo-LP zunächst als Doppel-LP geplant war, erschien sie als 45-Minuten-Album und der Melody Maker stellte enthusiastisch fest: "So gut war Gallagher noch nie." Einen Teil der Songs hatte Rory bereits für das dritte Studio-Album der Taste geschrieben, z. B. Sinnerboy und Hands up. Noch einmal hört man Rory auf Can´t Believe It´s true auf einem Instrument, das zu den schwierigsten überhaupt gehört: dem Saxophon. Er hatte es bereits bei dem Titelsong der Taste-LP On The Boards als Solist meisterhaft gespielt. Auch wenn es um das Saxophonspiel geht, sind Rorys Maßstäbe sehr hoch, denn er orientiert sich z. B. an A. C. Reed, und sein eigenes Spiel kommt ihm im Verglleich zu Musikern dieses Kalibers noch zu rudimentär vor. Daher kann man auf späteren Aufnahmen nur noch sehr selten Saxophonspiel von Rory vernehmen. Nach dem Erfolg seiner mit Hilfe von Eddie Offord produzierten Solo-LP erschien bereits im November die an fünf Tagen eingespielte zweite Solo-LP Deuce, nach der sich auch der Schweizer Fanclub auf Wunsch von Rory nennen wird. Diese zweite LP verkaufte sich innerhalb kürzester Zeit mit 35.000 Exemplaren so gut, daß der Plattenumsatz der Taste-LPs erstmals eingeholt wurde. Mittlerweile merkte man auch dem Gitarrenspiel gerade in den subtilen Nuancen an, daß sich Gallagher zu einem der phantasievollsten Musiker entwickelt hatte. Das Slidespiel wirkt zum Beispiel auf "Sinnerboy" und "Whole Lot Of People" wesentlich ausgefeilter als noch auf "Eat My Words" (On The Boards), doch vor Allem werden die später als typischer Gallagher-Sound bekannten Flageolett-Töne immer mehr zum Bestandteil seiner Soli, z. B. auf "Can´t Believe It´s True" und "There´s A Light". Erstaunlicherweise kann er diese Töne trotz seines Daumennagels erzeugen, den er im Alter von neun Jahrfen in einer Autotür gequetscht hatte und der nicht mehr richtig nachgewachsen war. Dann, am 1. Januar 1972, gab es ein Konzert in der Ulster Hall, das viele Kritiker davon überzeugen konnte, daß auch Rory Gallagher, der von der politischen Überzeugungskraft von Songtexten nie viel gehalten hat, einen ganz persönlichen Standpunkt zu den irischen Problemen einnimmt. Nachdem am Vorabend zwölf Bomben in Belfast explodiert waren, vertrat Gallagher die Auffassung: "Ich meine es war unsere Pflicht, dort zu spielen." Dies wiegt umso schwerer, als Rory als Südire keineswegs gegen Anschläge gefeit war. Roy Hollingworth schrieb über dieses Konzert, bei dem er selbst anwesend war. in der Dezember-Ausgabe des Melody Maker u. A. folgendes: "Wißt Ihr, Gallagher hat ohne viel Aufhebens das Einzige getan, was ein Rockmusiker für Belfast tun konnte. er hat an diesem gottverdammten Platz gespielt (...), und für zwei Stunden zählte nichts Anderes mehr in dieser blutigen Welt. Ich werde das nie vergessen." Im Gegenstaz zu Rory haben andere Musiker an diesem Tag und an den folgenden Abenden ihre Konzerte abgesagt. Auch für Rory wäre das kein Problem gewesen, aber er tat es nicht, sondern gab den zweitausend jungen Menschen das, worauf sie sich seit Wochen gefreut hatten. Die menschliche Wärme und Glaubwürdigkeit, die Rory Gallagher verströmt, hat sehr viel damit zu tun, daß er eine ergebene Anhängerschaft gewonnen hat, die ihm als musikalischem Aussenseiter im harten, erfolgsorientierten Musikgeschäft die Möglichkeit bietet, seine Musik weiterzuentwickeln. Gerade in den 70er Jahren, die von Supergruppen wie Led Zeppelin und Pink Floyd geprägt waren, war die ehrliche Kommunikation zwischen Künstler und Publikum, so wie sie Rory Gallagher in seinen bis zu hundertfünfzig Konzerten im Jahr vollzieht, Mangelware und erfrischend zugleich. Ein Teil dieser enormen Wechselwirkung zwischen Rory und seinem Publikum ist auf der fantastischen LP Rory Gallagher/Live In Concert dokumentiert, die während der Europa-Tournee von Februar bis März aufgenommen worden war. Auf dieser spannungsreichen und dichten LP, die zu den besten mit klassischer Triobesetzung eingespielten Live_Platten gehört, vernimmt man die gesamte Bandbreite seiner (Gitarren-) Virtuosität. Dies gilt sowohl für sein Spiel auf akustischer Gitarre ("Pistol Slapper Blues") oder elektrischer 61 er Strat als auch für seine immer wieder verblüffenden Neuinterpreationen alter Bluesstücke wie "Bullfrog Blues" (das ihn zuerst in einer Version von Canned Heat begeisterte; er spielte es jedoch erst nach, als er die Original-Country-Blues-Version kannte), "Messin´ With The Kid" oder "I could´ve had Religion". Im Juni 1972 wurde vor einer rekordverdächtigen USA-Tournee der tourneemüde Wilgar Campbell durch den ehemaligen Killing-Floor-Schlagzeuger Rod de´ Ath abgelöst. Er machte Rory während der Tour auf seinen ehemaligen Mitstreiter Lou Martim aufmerksam, den Rory daraufhin sofort in seine Band aufnahm. Das erste Studioalbum, betitelt Blueprint, das Rory mit dieser Band aufnahm, hat trotz der stimmigen Atmosphäre eindeutig Längen, die sicher auf die fehlende Studiobesetzung dieser Besetzung zurückzuführen sind. Diese Längen sind jedoch schon auf der folgenden LP Tatoo, die rechtzeitig zum Tourneebeginn in England auf den Markt kam, gänzlich verschwunden. Doch in der Zwischenzeit fand noch eine Amerika-Tournee im Vorprogramm der Faces statt, von der Rory sicher das Konzert im Madison Square Garden in Erinnerung geblieben sein wird, bei dem sein Verstärker unter dem Applaus des an Showeffekte gewöhnten Publikums zu brennen begann. 1972 und 1973 gab es für Rory Gallagher zwei sehr interressante Sessions mit den legendären amerikanischen Musikern Muddy Waters und Jerry Lee Lewis. Die erste Session zählt allerdings nicht unbedingt zu den Sternstunden der beiden Musiker, wobei vielleicht der mangelnde solistische Glanz und die anscheinend fehlende Spielfreude von dem starken gegenseitigen Respekt herrühren. Rory´s Klasse kommt auf dieser LP aber ganz sicher in dem Solo in "I´m ready" zur Geltung. Die andere LP von Jerry Lee Lewis bot zwei Platten besten Rock´n´Rolls, wobei einer der nach Meinung Rorys wohl interessantesten Songs, nämlich "Satisfaction" von den Rolling Stones, auf dem Originalalbum wegfiel. Rory erzählte über die Aufnahmesession zu diesem Song folgendes: "Jerry Lee Lewis sollte Satisfaction aufnehmen, doch er sagte, daß er diesen Song noch nie gehört hätte. Ich sollte ihm dann den Song beibringen. Er hatte Schwierigkeiten damit, hatte nicht das richtige Gefühl dafür und konnte es auch nicht verstehen, daß jemand solche Texte schreiben konnte. Das verstand ich nicht, denn er war ein ausgesprochen guter Musiker. Endlich beherrschte er den Song dann einigermaßen und man nahm ihn auf. Aber es war köstlich, der beste Teil des Tages." Inzwischen sind dieser und fünf weitere Songs auf den vom Bear Family wiederveröffentlichtem Doppelalbum (zuvor als Einzelalben erschienen) enthalten, auf dessen Cover steht, daß man, um Satisfaction halbwegs zu einem kompletten Song zusammenzubekommen, mehrere Takte aneinanderschneiden mußte. Wahrscheinlich stand dieser Aufwand seinerzeiten einer Veröffentlichung im Wege. Neben Rory Gallagher spielten noch eine ganze Menge prominenter englischer Musiker und Gitarristen wie z. B. Alvin Lee, Albert Lee, Peter Frampton und viele andere mit. Rory selber ist nur auf fünf Songs des Originalalbums zu hören. Später sagte er über die Sessions mit Jerry Lee Lewis: "Er ist wirklich so, wie man sich erzählt - ein Killer. Man wußte nie wann man lachen durfte und wann nicht. Er ist echt ein wilder Kerl." Durch Gallaghers unablässiges Touren rund um die ganze Welt wuchs die Anzahl seiner vielen von der Musikpresse vergebenen Preise, und 1974 erschien ein Doppel-Live-Album, das 1974 während einer Tournee durch Irland aufgenommen worden war und deshalb Irish Tour ´74 heißt. Zu diesem Album wurde auch ein neunzigminütiger Dokumentarfilm von Tony Palmer über die Tournee quer durch Irland in die Kinos gebracht, der allerdings, aus welchen Gründen auch immer, bald wieder in den Archiven verschwand. Dennoch gibt es jetzt die berechtigte Hoffnung, daß dieser Film bald auf Video ausgewertet wird. Doch bleiben wir im Jahr 1974, in dem Rory zum ersten Mal als Headliner eine Amerika-Tournee mit viel Erfolg bestreiten konnte. Im Vorprogramm war übrigens Status Quo. Ende des Jahres gab es dann, wie so häufig, Konzerte in Irland und auch einige in England. Fortsetzung folgt! |
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