Talkin´ blues - A Selection Of Rory Gallagher - Teil 3

Dritter und letzter Teil einer umfassenden Biographie, die Rory in großen Teilen selber verfasst hat und die in englischer Sprache in der "Hot Press" Nr. 19 am 12. Juli 1995 - also kurz nach Rorys Tod - erschienen ist unter dem Titel:

"Talkin´ blues - A Selection Of Rory Gallagher"

Da der Artikel sehr umfangreich ist, wird er hier in mehreren Fortsetzungen nach und nach veröffentlicht.


1975 wurde ein Jahr der Gerüchte, die nicht zum Verstummen kamen. Mick Taylor hatte die Rolling Stones verlassen, und die englische Musikpresse kannte angeblich bereits seinen Nachfolger: Rory Gallagher. Richtig an dieser Meldung war nur, daß die Rolling Stones, auch im Hinblick auf das Presseecho, eine ganze Menge namhafter Gitarristen in ein Studio in Rotteram einluden. Unter ihnen befand sich neben Jeff Beck, Wayne Perkins, Robert Johnson und vielen anderen auch Rory Gallagher. Doch Rory war wenig angetan von der Arbeitsweise der Stones, die einen Song den ganzen Tag lang probten, und so blieb zu guter Letzt für ihn nur das Vergnügen, mit Keith Richards gejammt zu haben.

Das Jahr 1975 brachte auch noch einen Wechsel der Schallplattenfirma. Rory wollte den vertrag mit Polydor nicht mehr verlängern, sondern unterschrieb bei Chrysalis, die ihm die richtigen Konditionen bot. Bald sollte sich dann zeigen, daß Chrysalis mit dem Vertrag nicht falsch gelegen hatte, denn Rory wurde ihr zweiterfolgreichster Interpret.

1975 bot sich noch eine weitere Sensation, denn Rory führte live das aus, was er seit 1972 als Album geplant, aber bis heute nicht durchgeführt hat - ein rein akustisches Set (mit Dobro, Martin und Man Dave). Dieser Auftritt, der am 4. Juli 1975 während des Eröffnungsabends des Montreux Jazzfestivals rund eine Stunde währte, löste zusammen mit der bis 5.30 Uhr dauernden Jam Session mit John Martyn, Larry Coryell, Philip Catherine Begeisterungsstürme bei Publikum und Kritik aus. Da Rorys Vereinbarung mit den Organisatoren des Jazzfestivals  aber auch ein elektrisches Set einschloß, gab es zusätzlich noch einige Jam Sessions mit David Bromberg, Louisiana Red, Lowell Fulson und Albert King.  
Die drei Stücke mit King, die zusammen rund dreiunddreissig Minuten dauern, sind auf dem 1978 erschienenen Doppelalbum "Live-Blues" enthalten. Diese Veröffentlichung erstaunt umso mehr wenn man weiß, daß Rorys Auftritt nur durch das Beharren von Albert Kings Manager zustande kam, Albert King jedoch auf der Bühne abfällige Bemerkungen über Rory machte, die auch auf dem Cover wiedergegeben wurden.

Nach der für Rory sicherlich sehr schönen Zeit in Montreux machte man sich an die Ferigstellung der Platte "Against The Grain", die im Oktober mit großem Erfolg verkauft wurde und sicherlich eine der schönsten Gallagher-LPs ist. Ziemlich genau ein Jahr später kam dann die erstmals nicht von Rory Gallagher, sondern vom Deep-Purple-Bassisten Roger Glover etwas kraftlos produzierte LP "Calling Card" heraus, die sich nicht ganz so gut verkaufte wie ihre Vorgänger.

1977 absolvierte Rory seinen spektakulären Auftritt in der ersten Rockpalast-Nacht, nachdem er bereits am Vortag in Montreux eines seiner, wie er selber meint, besten Konzerte überhaupt gegeben hatte. Bereits 1976 war Rory beim Rockpalast (damals noch im Studio L) gewesen und hatte ein rein akustisches und daran anschließend ein elektrisches Set gebracht. Nach den beiden kurz aufeinanderfolgenden Konzerten trat Rory mit blutig gespielten Händen von der Essener Grugahalle ab, nachdem er das Publikum zum Kochen gebracht hatte. Im irischen Fernsehen, wo man den Rockpalast ebenfalls live ausgestrahlt hatte, wurden die höchsten Einschaltquoten für Spätprogramme überhaupt gemessen. Nach diesem furiosen Auftritt fuhr er dann am nächsten Morgen schon wieder für zwei Tage nach Montreux, um danach in Gent (Belgien) ein Free-Konzert vor fünftausend Leuten zu geben.

1977 und 1978 gab es zudem zwei Sessions: zum einen spielte er auf der LP "Gaodhal´s Vision" von Joe O´Donell, der auf einigen Tourneen in England und Holland das Vorprogramm bestritten hatte, und zum anderen war er auf der LP "Puttin´On The Style" von seinem alten Idol Lonnie Donegan zu hören. Gleich auf dem ersten Stück der LP, "Rock Island Line", hört man Gallagher, der in absoluter Präsenz wunderschönes, verzauberndes Gitarrenspiel beisteuert.
Die besten Momente hat die LP trotz Gastmusikern wie Ron Wood, Elton John, Mick Ralph, Brian May und vielen anderen immer dann, wenn die Stücke durch Rorys intensives Gitarrenspiel veredelt werden.

Anfang 1978 nahm Rory zusammen mit Rod de `Ath und Lou Martin in Kalifornien unter der Regie des Produzenten Elliot Mazer das Album "Photo Finish" auf, das er aber schon bald verwarf, weil es mit anderen Instrumenten viel zu überladen war.
Nach einer längeren Tournee, bei deren Ende Rod de `Ath und Lou Martin ausstiegen, nahm Rory dann mit neuen Energien und einem neuen Schlagzeuger Namens Ted McKenna im dritten Anlauf dann die endgültige und volkommen neue Version von "Photo Finish" in Köln auf. Trotz der schlechten Kritiken, die vor allem auf die Einflüsse von Hardrock abheben, verkaufte sich diese LP mit annähernd 100.000 Exemplaren allein in der Bundesrepublik Deutschland noch besser als "Against The Grain".
Auf dieser LP fügte sich auch der neue Schlagzeuger Ted McKenna gut ein, der vorher in der Sensationell Alex Harvey Band war. Nach nur drei Konzerten trennte sich Rory allerdings wieder von ihm.
Im Anschluss an die Veröffentlichung von "Photo Finish" gab es Tourneen durch ganz Europa, die  überall Aufsehen erregten.

Am 18. Juli 1979 fand dann wieder einmal eine Premiere während des Montreux Jazzfestivals statt: Rory spielte in einem Programm mit Champion Jack Dupree und mit Albert Collins, mit dem er nach seinem Auftritt eine zweistündige Session veranstaltete, in deren Verlauf sie u. A. den Taste Song "Wee Wee Baby" brachten. Das ist deshalb so erstaunlich, weil Rory nach dem Taste-Split nie wieder Taste-Songs in seinem Repertoire hatte, selbst in den Anfängen seiner eigenen Band nicht, als das Publikum vielfach noch lautstark nach Taste-Songs verlangte. Für ihn war diese Phase mit ihren Songs Vergangenheit, die er ruhen lassen wollte.

Genau einen Monat später gab es dann ein Festival in Saarbrücken, auf dem es sich wieder einmal zeigte, was es bedeutet, im Anschluß an Rory auftreten zu müssen. Die Gruppe Queen schaffte es nur mit Mühe, dem Publikum wenigstens den Pflichtapplaus zu entlocken, und man schickte nach Rory, um mit ihm zusammen ein Rock´n´Roll Medley zu spielen. Dies lehnte er jedoch dankend ab.

Die nächste LP, "Top Priority" verunsicherte viele alte Fans von Rory, weil er mit dieser LP in die Richtung weiterging, die sich schon auf "Photo Finish" abgezeichnet hatte - und dieser neue Weg hatte mehr mit Hardrock als mit Bluesrock zu tun. Da die LP die Verkaufszahlen von "Photo Finish" noch übertraf und da auf akustische Instrumente verzichtet worden war, redeten die Kritiker vom "angepaßteren" Rory. Auch die erstaunlich schlecht produzierte LP "Stage Struck", die zudem noch einige Overdub-Gesangspartien enthielt, konnte da nicht so recht versöhnen.

In Amerika gab es während einer Tournee Probleme mit Jefferson Starship. Als Vorgruppe wurde ihr nur wenig Licht und Platz auf der Bühne gewährt, so daß sie, als sie auch ihre Lautstärke immer mehr drosseln mußte, aus der Tournee ausstieg und die Gerüchte nicht verstummten, es habe auch eine Schlägerei zwischen Rory und Paul Kantner gegeben. Tatsache ist auf jeden Fall, daß am Tag ihres Ausstieges von fünftausend Konzertbesuchern dreitausendfünfhundert ihr Eintrittsgeld zurückforderten.

Trotz Rorys Popularität in England gelangte "Satge Struck" nur bis Platz dreißig in den LP-Charts. 1981 wurde dann für Rory erstmals ein recht ruhiges Jahr, aus dem es nur eine Novität zu berichten gibt, nämlich die Ausstrahlung des Fernsehfilms "A Sense of Freedom" im irischen Fernsehen. Die Musik zu diesem Film stammt von Rory Gallagher und der Gesang wurde von Frankie Miller beigesteuert.

Erst 1982 gab es dann wieder eine neue LP von Rory, die er, was den Sound betrifft, mit größter Sorgfalt erneut im Dieter-Dierks-Studio in Köln eingespielt hatte. Die gelungene Produktion dauerte sechs Monate, und Rory bedankte sich bei Dieter Dierks mit einem selbstgemachten Studio Award. Die "Jinx" genannte LP wartete wieder mit mehr Slidegitarrenparts auf, die der Platte zusätzlich eine bluesorientierte Atmosphäre verleihen. Mittlerweile saß auch mit Brendan O´Neill ein neuer Mann am Schlagzeug. Live wurde die Gruppe häufig durch zwei Saxophonisten verstärkt.  Die LP verkaufte sich gut und schraubte die Erwartungen an Rorys nächste LP hoch.

Doch darauf mußten Fans und Kritker fünf Jahre warten, denn nach "Jinx" verlängerte Rory seinen abgelaufenen Plattenvertrag mit Chrysalis nicht mehr, sondern suchte nach einer neuen geeigneten Plattenfirma. Nach zahlreichen Gerüchten über die neue Plattenfirma (besonders Alligator Rcords schien denkbar) gab es dann mit Erscheinen der LP "Defender" Gewißheit - Rory hatte sich für das in der Bundesrepublik durch Intercord vertretene Sub-Label von Elvis Costellos Demon Records, Da Capo, entschieden.
Die LP kam mit einer Single heraus, die zwei weitere Titel enthielt. Die Überfülle an Material, das sich durch die lange Plattenpause angesammelt hatte, erklärt den Variationsreichtum und die ungebräuchliche Veröffentlichungspolitik der LP mit Single. Ohne Einschränkung kann man sagen, das lange Warten hatte sich gelohnt. In diesen fünf Jahren gab es an Plattenaufnahmen nur Gallagher-Gastspiele auf den ersten beiden LPs der Gruppe Box Of Frogs und das fantastische "When My Baby She Left Me" auf dem aus Aufnahmen zusammengestellten "Blues On 2 Samplers".

Der große Erfolg der LP "Defender" und der anschließenden Tournee läßt die Hoffnung als berechtigt erscheinen, daß es für die authentische und handgemachte Musik des Phänomens namens Rory Gallagher immer ein Publikum geben wird.

ENDE