"Talkin´ Blues - A Selection of Rory Gallagher" - Teil 1


Der folgende Artikel  ist der erste Teil einer umfassenden Biographie, die Rory in großen Teilen selber verfasst hat und die in englischer Sprache in der "Hot Press" Nr. 19 am 12. Juli 1995 - also kurz nach Rorys Tod - erschienen ist unter dem Titel:

"Talkin´ blues - A Selection Of Rory Gallagher"

Da der Artikel sehr umfangreich ist, wird er hier in mehreren Fortsetzungen nach und nach veröffentlicht.

Rory Gallagher
Geboren: 2. März 1948 in Ballyshannon / Irland

Die Überschriften der Artikel über Rory Gallagher beschäftigen sich meistens mit  drei Themen, die es halbwegs ausgleichen sollen, daß er kein Image besitzt, das für die sensationshungrige Musikpresse vermarktbar wäre:
Sie befassen sich mit seiner irischen Herkunft - er ist in Cork aufgewachsen -, seiner Neigung, fast ausschliesslich karierte Baumwollhemden zu tragen, und vor Allem mit der Tatsache, daß er immer noch seine mittlerweile fast vollständig von der Sunburst-Lackierung befreite Fender Stratocaster von 1961 gebraucht, die er seit seinem 15. Lebensjahr besitzt.

Diese drei Dinge werden so sehr betont, weil es über die Person Rory Gallagher selbst wenig zu berichten gibt, abgesehen davon, daß er einer der nettesten, symphatischsten und zuvorkommendsten Menschen ist, die man in diesem unsymphatischen Business antreffen kann - davon konnte sich der Autor mehrere Male überzeugen.

Die innere Ausgeglichenheit Rory Gallaghers liegt sicher auch daran, daß er seit nunmehr über Jahren die für ihn so typische Mischung aus Blues und Rock weiterentwickelt, vor allen Dingen ehrliche Musik ohne große Kompromisse gemacht hat und dabei zu einer Bühnenpersönlichkeit geworden ist, die es sich leisten kann, auf jegliche oberflächlichen Bühneninszenierungen zu verzichten.

Doch angefangen hat Alles mit einer Plastikgitarre, die Rory zum sechsten Geburtstag von seinen Eltern geschenkt bekam.
Schon sechs Jahre später besaß er seine erste Fender Stratocaster, und spätestens im Alter von 15 Jahren stand für ihn fest, daß er seinen Idolen Lonnie Dongean und, Allen voran, Elvis Presley, Buddy Holly, Eddie Cochran und Jerry Lee Lewis sowie den Bluesmusikern Muddy Waters und Johnny Lee Hooker gleichtun wollte.

Nach Beendigung der Schule kam er zuerst einmal notgedrungen für zweieinhalb Jahre in der reinen Tanzband The Fontana Showband unter, die sich später in The Impact umbenannte.

Nach der Auflösung der Gruppe machte er sich zusammen mit dem Bassisten und dem Drummer auf den Weg nach Hamburg, wo die drei allerdings nur aufgrund ihrer Zusicherung, mit einem Organisten aufzutreten, unter Vertrag genommen wurden. Da sie es aber nicht schafften, einen Organisten für ihre Band zu bekommen, ließen sie sich eine ganze Menge Ausreden einfallen, die sie dem Besitzer des Clubs auftischten, aber irgendwann einmal war das Spiel durchschaut, und es ging wieder zurück nach Irland, wo sich die Gruppe schließlich auflöste.

Doch Rory wußte nun, was er wollte und gründete zusammen mit den lokalen Berühmtheiten Eric Kitteringham am Bass und Norman Damery von The Axels am Schlagzeug die erste Formation der Gruppe Taste. Die Band erlangte rasch lokale Berühmtheit und siedelte schließlich von Cork nach Belfast um. Kurz danach sah sie der Plattenproduzent Mervyn Solomon im Maritime Club und organisierte spontan eine Session in den Emerald Studios, um ein Demoband aufzunehmen. Teile dieser im Juli 1967 eingespielten Session erschienen 1972 auf diversen Labels als LP.

Ärgerlicherweise wurde wurde einge Zeit nach der Einspielung ein Mastertape mit weiteren Aufnahmen gelöscht. Trotz der fast nur auf einen Kanal "verbannten" Gitarre Rorys spürt man doch deutlich die Spielfreude und Kraft der Gruppe, die sicher dafür verantwortlich waren, daß die Band schon bald an einem Tag in der Woche im damals berühmten Marquee Club in London auftreten durfte.

Nachdem sie also den Sprung von England nach Irland geschafft hatte, führte der nächste Schritt nach Nordamerika, wo die Gruppe vor Allem auf dem Newport Jazz-Festival auftrat.

Doch die Tournenn erzielten nicht den gewünschten Erfolg, sie bewirkten vielmehr, daß sich die Band nach über zweijährigem Bestehen im August 1968 auflöste. Nach den Gründen für diese Trennung befragt, sagte Rory in einem späteren Interview: "Wir mußten (auf Tourneen) oft im Bus schlafen, und es war eine harte Schinderei in den Clubs, aber trotzdem hat es großen Spaß gemacht. Plötzlich lösten wir uns auf. Eric wollte eine eigene Band gründen und Norman eine Weile von der Straße runter. Also haben wir Schluß gemacht."

Doch schon Mitte 1969 meldete sich Gallagher mit einer neuen Taste-Formation zurück, die neben ihm aus dem Schlagzeuger John Wilson (geb. 3.12.1947), der zuvor bei Them gespielt hatte, und Richard McCracken (geb. 26.6.1948) am Baß bestand. Diese Band ließ bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1970 die Herzen aller Bluesrock-Freunde höher schlagen. Beide Mitstreiter stammten wie Rory aus Irland, doch ihr erstes Konzert fand in  Falkkirk in Schottland statt. Wie das erste Taste-Trio wurde die Band rasch bekannt und ihr Erfolg war sogar ungleich größer als bei der alten Formation. Schon bald hatte die Gruppe einen Verttag mit der Plattenfirma Polydor, die das Rennen machte, in der Tasche.

Die bereits am 25. Oktober 1968 live im Marquee aufgenommene LP In Concert - Taste Featuring Rory Gallagher kam zu Rorys Verärgerung erst viele Jahre später heraus, während die beiden Taste-live-Platten, die vorher erschienen waren, ihm nicht gefallen hatten. Die LP dokumentiert schlagkräftig die enorme Energie und das brillante Zusammenspiel, mit denen das Trio in ganz Europa Fans gewann.

Das solistische Können jedes einzelnen Mitglieds und die Vielzahl an musikalischen Einflüssen wie Jazz und Folk, die auf einem kraftvollen Bluesrock-Fundament vereint wurden, gaben Anlass zu ständigen Vergleichen mit der Gruppe Cream. Doch ihre erste LP, schlicht Taste genannt, klang wesentlich unverkrampfter als der, allerdings zwei Jahre früher erschienene, Cream-Erstling. Dennoch verkaufte sich die wesentlich experimentierfreudigere zweite LP, On The Boards, die Anfang 1970 erschien, über Erwarten gut. Sie wurde zudem von der Presse begeistert aufgenommen.

Auch bei Live-Auftritten setzte Taste sich durch. Während der USA-Tournee von Blind Faith trat die Band neben Free und Delaney and Bonnie als Vorgruppe mit so großem Erfolg auf, daß sie nach ihrer Rückkehr nach London von drei Tournee-Angeboten aus den USA überrascht wurde. So war die Gruppe bereits im Frühsommer zum zweiten Mal in Amerika auf Tournee, obwohl sie kurz vorher noch den Raub ihrer gesamten Verstärkeranlage inklusive Rorys altem Lieblingsverstärker Vox 90 im Werte von über 25.000 DM zu beklagen hatte. Seit dieser Zeit ist es für Rory nicht mehr ungewöhnlich, drei Viertel des Jahres auf Tournee zu sein.

Beim Isle of Wight-Festival im August 1970 schien Taste kurz vor dem absoluten Starruhm zu stehen. Die Gruppe absolvierte einen triumphialen Auftritt und mußte bei einem Festival, auf dem u. A. die Doors, Jimi Hendrix, Free und Ten Years After auftraten, drei Zugaben bewilligen. Doch nach einer kurzen Europa-Tournee verkündeten die Mitglieder im Oktober das Ende von Taste.

John Wilson gab später in der Presse einige Kommentare zu Rorys angeblichen Allüren ab, seine Mitmusiker als Angestellte zu behandeln und sich immer mehr in den Vordergrund zu drängen. Tatsache ist, daß Rory bei den letzten Taste-Auftritten rund die Hälfte mehr Gage bekam als John Wilson und Richard McCracken, der im Übrigen nie mehr ein Wort über die Trennung verloren hat.Tatsache ist aber auch, daß den Taste-Mitgliedern durch die Trennung über 35.000 Pfund an Gagen für schon geplante Auftritte verlorengingen. Sie bekamen mittlerweile teilweise mehr als 25.000 DM pro Auftritt was vor Allem auf den Eifer ihres Managers Eddie Kenndy zurückging.

Kenndy war auch dafür verantwortlich, daß nach der Auflösung die beiden von Rory abgelehnten Live-LPs erschienen. Doch lassen wir zum Thema Trennung Rory selbst zu Wort kommen :
"Das Auseinandergehen von Taste hatte rein musikalische Gründe. Richard McCracken und John Wilson wollten ihren musikalischen Vorstellungen folgen - und ich meinen eigenen, Richard und John kamen nie mit einem eigenen Song, und so dachte ich, daß sie mit dem, was ich schrieb, zufrieden sein würden. Doch später zeigten sich die Beiden dann unglücklich darüber, und so bin ich gegangen. Ich habe Taste nicht aufgelöst. Richard und John sind weiter zusammen und haben sogar immer noch dasselbe Management. Nur ich bin nicht mehr dabei."

Leider verstärkt auch diese Stellungnahme den Eindruck, daß die musikalische Individualität der einzelnen Mitglieder, die die einmalige Wirkung von Taste ausmachte, auch für den Split verantwortlich war. Folgerichtig gründeten John Wilson und Richard McCracken ihre eigene Gruppe mit dem Namen Stud, die es immerhin auf zwei Studio-LPs und eine Live-LP brachte. Sie spielten aber eher eine Jazz-Rock zu nennende Musik, von der nicht nur Gallagher meinte, daß sie nichts mehr mit seiner Musik gemeinsam hätte. Zu Gallaghers obigen Ausführungen sollte noch kurz angemerkt werden, daß sich John Wilson, ehe er mit Richard McCracken Stud gründete, bei der Gruppe Cochise und dann bei Quiver ans Schlagzeug gesetzt hatte.