Goodtimes: Die Rory Gallagher - Story 1949 - 1995, Teil 1
Mit seinem karierten Holzfällerhemd, einem ausgewaschenen Paar Jeans und einer bis aufs rohe Holz abgewetzten Stratocaster-Gitarre verkörperte Rory seit den späten Sechziger Jahren wie kein anderer die mögliche Unkompliziertheit seines erwählten Musik-Genres: Einfach die "Strat" in einen Vox AC30 stöpseln! Der winzige Dreißig-Watt-Verstärker war vor dem bald standard-mäßigen Fender "Twin Reverb" tatsächlich Gallaghers weiteres winziges, schön dreckig klingendes Markenzeichen - Blues/Boogie-Nummern, meist im Trio derb dargeboten, machten Rory bald zum Makler ehrlicher, bodenständiger Sounds! Einen "Unplugged"-Set gab es jeweils in der Mitte, lange bevor die MTV-Generation die Vokabel erfand. Dieses Rezept brachte Gallagher durch ein Vierteljahrhundert im Rampenlicht, unumstritten - außer daß ihn das "GUINNES BUCH OF ROCK STARS" auch in seiner dritten Ausgabe 1994 völlig ignorierte: zwischen "Buckse Fizz" und "Suede" war wohl einfach kein Platz mehr für einen weiteren Rock Star!
Später tourte die Formation als "The Impact" durch die irischen Counties und bereiste außerdem Großbritannien, Südeuropa sowie die Army-Camps der noch sehr besatzergeprägten Bundesrepublik Deutschland West. Zwei Impact-Kollegen, Drummer Norman Damery, und Bassist Eric Knitteringham, praktierten ab 1965 mit Rory für härtere Sounds. Die beiden konnten einfach ihre R&B-Band Axles nicht vergessen: Mit Rory, Rock´n Roll, Country- und City-Blues ging es 1966 als "Taste" auch in den ´Hamburger Starclub`. Aber Gallagher & Co ereilte dort das gleiche Schicksal wie dem dortigen Bluesrock-Konkurrenten Alvin Lee mit seinen Jaybirds: Für beide Bands erwies sich eine härtere Blues-Geschmacksrichtung als noch nicht tragfähig. Und während Alvin es in England mit einem neuen Bandnamen - Ten Years After - erfolgreich versuchte, wechselte Rory die Mannschaft, blieb aber beim erfolgversprechenden Namen: Taste!
"On The Boards" - elf Wochen in den britischen Charts, bis No. 18 in den Top-Twenty - erfüllte im Sommer `69 alle Versprechungen des Erstlings und variierte die Bandbreite mit Country-Songs und einem weiteren Rory-Markenzeichen: unisono mit Stimme und Slideguitar vorgetragenen Melodieläufen wie in "Eat My Words"! Konzerthöhepunkt der Taste-Karriere wurde ihr auch als Album dokumentierter Auftritt beim "Isle Of Wight Festival" im August 1970. Trotz großartiger Form litt die Performance jedoch unter schlechter Stimmung in der Band: Rory fühlte sich - als einziger Komponist der Band - zu Unrecht von Wilson und McCracken kritisiert, hinter der Bühne herrschte bereits eisige Funkstille.
Seine Rythm-Section aus Wilson & McCracken gründete mit John Weider (Ex-Family) und Jim Cregan (später Rod Stewart-Band) die Gruppe Stud, die es zu drei wenig beachteten Jazzrock-Scheiben brachte, "Charly" McCracken arbeitete im Laufe der Siebziger Jahre auch in der Spencer Davis Group und stieß in den 80ern mit Jerry Shirley von Humble Pie zum Motorhead-Ableger Fastway, John Wilson tauchte 1984 bei der Jim Daily Blues Band auf, die Gruppe begleitete unter anderem Dr. John bei England-Dates. Ihr sensibler, deprimierter und obendrein bankrotter Ex-Boß Rory Gallagher spielte mit neuen Leuten, an die er sich von einem irischen Festival her erinnerte: Bassist Gerry McAvoy, Ex Deep Joy, und Drummer Wilgar Campbell hatte er bei einem Belfast Open Air in ihren Vorgruppen kennengelernt und rief sie nun an: beide waren frei!
Gelassen gastierte Rory bald auf der ersten Solo-LP des renommierten britischen Produzenten Mike Vernon:"Bring It Back Home". Vernon verdankte seinen Ruf den klassischen Aufnahmen für sein Blue Horizon-Label, allen voran den früheren Alben von Peter Green´s Fleetwood Mac und Stan Webb´s Chicken Shack. Was deren Sessions ausstrahlten, fehlte Rory nach eigenem Empfinden bei seinen eigenen Platten - ein adäquater Transfer der legendären Live-Athmosphäre auf die Konserve. Folgerichtig veröffentlichte Gallagher als nächstes einen Mitschnitt seiner umjubelten Bühnenshow "Live In Europe" - mit einem dramaturgisch-geschickten, Fan-Ekstase hervorrufenden "Bullfrog-Blues" - erreichte im Sommer 1972 sogar die britischen Top Ten und hielt sich fünfzehn Wochen in den Listen, worauf der beserkerhaft Tourende den Mut zu einer Sound- und Band-Erweiterung fand.
Gallaghers Kompositionen wurden immer eingängiger - gewiefte Riffs, inspirierte Soli und akustische Südstaaten-Einlagen hielten Spannung und Abwechslung hoch. Stolz gehörte der Ire mittlerweile zur Créme der Rock-Gitarristen. Er wurde eingeladen, sowohl die Blues-Legende Muddy Waters als auch den Rock´n Roll-Haudegen Jerry Lee Lewis bei ihren jeweiligen "London-Sessions" zu unterstützen. Neben Marathon-Reisen durch Europa und den amerikanischen Kontinent - bis zu vier Monate am Stück und zum Beispiel gleich sechs Nächte im Toronto Colonia Tavern vom 19. - 24. Marz 1973 - fanden Rory und seine Band bis zum Herbst noch zwei Wochen Zeit für Studiotermine - für den ebenbürtigen LP-Wurf "Tattoo" (UK No. 32 im November 1973). Im Jahr darauf wurde die Live-Stärke der Formation erneut dokumentiert: Neben zahlreichen Bootlegs - die in den Neunziger Jahren von Gallagher selbst in einer "G-Men-Box" zurückreklamiert wurden - erschien "Irish Tour 74" als Medienverbund-Album (UK No. 36 im Juli `74) und Kinofilm.
Am 27. Februar 1975 meldete die deutsche Ausgabe des "Melody-Maker" großspurig: "Der neue Stones-Gitarrist heißt Rory Gallagher!" Sicher, Rory war ins niederländische Rotterdam eingeflogen worden und hatte jammend an den Sessions für das Rolling Stones-Album "Black and Blue" teilgenommen, aber nicht ernsthaft erwogen, seine Eigenständigkeit für das zweifellos schmeichelhafte Angebot aufzugeben. Im Fanzine "Deuce" erinnerte Rory sich im Dezember 1984 an jenes Früjhjahr `75: "Die Stones-Sache war nur eine Aufnahme-Session für ein paar Nächte. Ich bin ein Stones-Fan. Ich war es damals und ich bewundere noch immer eine Menge der Sachen, die sie machen." Im eigenen Studio übertraf sich der hemdsärmelige Ire weiterhin selbst. Sein 1975er ´Chrysalis`-Debut "Against The Grain" zählte bis zuletzt zu seinen Lieblingsalben, auch wenn es meist nicht chartete. Live ging es 1975 zum ersten Mal nach Australien, außerdem freute sich Rory über seine Einladung zum Montreux Jazz-Festival im Juli. Für "Calling Card" (UK No. 32 im Oktober `76) konnte Rorys neuer Produzent, der Deep Purple-Bassist Roger Glover, den irischen Wahl-Londoner zu neuen Höchstleistungen bringen. Hatten sich die LP-Verkäufe auch seit "Tattoo" in England auf 30-er Plätzen eingependelt, so fand Gallaghers Live-Attraktivität seinen weiteren Glanzpunkt im Sommer 1977 in der international ausgestrahlten ARD-Rockpalast-Nacht: "German Television proudly presents"!
Das gängigste Klischee eines Hallen, Hotels, Städte und Nationen abhakenden, vom Tourkoller geschädigten Headbangers - gepflegt etwa durch den Kultfilm "Spinal Tap" - paßte trotz aller Routine, Druckwalls, gewagter Scherensprünge und Holiday Inn-Gelagen auf Rory nicht im geringsten. Der Mann gab beim Spielen sein letztes, nahm aber das Publikum nicht als Masse, sondern aus Menschen bestehende Ansammlung wahr, deren Einheit Rory liebte und für deren Wohlbefinden er sich einsetzen wollte. Dafür mag ein Erlebnis stehen, an das sich Markus Gygax vom Gallagher-Magazin "Deuce" aus über 100 Auftritten erinnert: "1979 habe ich Rory vor etwa 5000 Zuschauern in der Sporthalle Köln gesehen. Ein Security-Mann hat einem ungefähr sechzehnjährigem Mädchen einen Boxhieb verpaßt, weil es auf die Abschrankung geklettert ist. Rory hat dies zufällig gesehen, ist von der Bühne in den Abschrankungsteil gesprungen, hat die Security von diesem Mädchen weggezogen und auf den Ausgang hingewiesen. So war er, in den Siebziger und Achtziger Jahren ein Superstar, der Ungerechtigkeiten aber nicht nur gesehen, sondern auch dagegen gekämpft hat." Nach einem Studio-Gastspiel für Mike Batts "Tarot Suite" setzte "Top Priority" Rorys solide, bei etwas mehr Heavy-Touch weniger abwechslungsreiche, aber spannende Trio-Arbeit fort. Sie erreichte im Vereinigten Königreich den bescheidenen Platz 56, kam aber in Deutschland sowohl in den Radio-Charts als auch in der Verkaufsliste auf Rang 1! Rory frönte weiter monatelang pro Jahr seine Live-Aktivitäten. Gallagher spielte einen Gig mit dem arrogant agierenden Blues-Veteran Albert King - dokumentiert auf "Albert Live" 1979". Kurz darauf folgte seine eigene neue Tour-Visitenkarte "Stage Struck". Ein Platz 40 in den britischen Charts tröstete Rory wohl kaum darüber hinweg, daß der Konzertmitschnitt weder an "Live In Europe", seine mittlerweile legendäre "Irish Tour `74" noch an diverse Bootlegs heranreichte - der Sound war einfach zu harsch und zu trocken, und sowohl sein Country-Blues als auch Chicago-Blues subtil elektrische 12-Bar-Herrlichkeit kamen einfach zu kurz!
Auch 1983 tourte Rory wie `81 wenig, sporadische Studiotermine ließen ihn Anfang des nächsten Jahres "Failsafe Day", "Loanshark Blues" Und "Kickback City" vorstellen. Angeblich war eine ganze LP fertiggestellt, doch es erschien lange Zeit nichts. Dafür kam 1984 Gerry McAvoys erstes Solo-Album "Bassics", mit Pianist Lou Martin und den Rory-Drummern 2 und 3, Ted und Brendan. Gallagher selbst war als Session-Gast inzwischen lockerer als bei seinen offiziellen Solo-Werken: Nach eigenem Bekunden war der scheue, oft kindlich wirkende und mit extremem Aberglaube irritierende Blueser nicht nur ein Anti-Star, sondern auch Fan geblieben - ein "Worshipper", wie er sich ausdrückte. So "half" der leidenschaftliche Gitarrist 1984 seinem Jugend-Helden Chris Barber für die LP "Drat That Fratle Rat" und gastierte auf der dritten Solo-LP von Gary Brooker. Daneben prägte Rory `84 & `86 zwei Alben des Yardbirds-Nachfolgers Box Of Frogs, deren "Strange Land" präsentierte gleich vier Titel mit Gallaghers Stratocaster. Auch 1986 bastelte Gallagher weiter an seinem eigenen neuen Studio-Projekt "Torch", deren "I ain´t No Saint" er bereits live vorstellte. Wieder verzweifelte der Festival-Veteran im Regieraum: "Der Abmisch-Prozess verkomplizierte sich" (O-Ton Rory), und "einige Stücke in anderen Geschwindigkeiten und anderen Tonarten" wurden erst ein Jahr später für das fünf Jahre nach "Jinx" erscheinende "Defender"-Ablum gerettet. Bei Studio-Sessions und den nun seltener werdenden Tourneen (Spanien, Frankreich mit Memphis Slim) verstärkte der Harmonica-Spezialist Mark Feltham - von den zwischenzeitlich pausierenden Londoner R&B-Champions Nine Below Zero - 1986 das Line-Up der Rory-Band, das sich auch auf anderen Kleinkunstbühnen vergnügte. Die Gerry McAvoy Band bestand aus Gerry, Mark und dem Earth Band-Gitarristen Dave Flett und und Ginger Baker´s Air Force-Keyboarder Dave Lennox (heute bei Mick Abraham´s Blodwyn Pig), Brendan O`Neill trommelte bei Hershey & The 12 Bars. Aus dem spontanen, impulsivem Handwerker Rory Gallagher war derweil ein Zauderer und Perfektionist geworden, und so dauerte es wiederum drei volle Jahre, bis 1990 "Fresh Evidence" erschien: allerdings mit bemerkenswertem Energie- und Ideen-Level! Rory brachte hier harten R&B, Jazz-Touch - und das zarte akustische "Empire State Express" - zum St. Patrick´s Day allein im heimatlichen Irland aufgenommen.
Anfang 191 halfen Brendan und Gerry dem Harmonika-As Mark Feltham, seine alte Formation Nine Below Zero, mit R&B-Gitarrist Dennis Greaves, dem zweiten Gründungsmitglied, wiederzubeleben. Feltham kehrte jedoch nach nur einem NBZ-Album reumütig zurück. Gallagher beschäftigte für seine 1992er Live-Comeback außerdem Sam Brown´s Stiefbruder, den Drummer Richard Newman, und den Multi-Instrumentalisten Jim Leverton - beide von dem Packet Of Three-Trio des `91 verunglückten Steve Marriot - sowie Bassist David Levy, den Jim Leverton von den Studio-Sessions mit Sam Brown mitbrachte. Für 1993 waren ein "Unplugged" - sowie ein reguläres Studio-Album geplant, das Ende 1992 bereits fertig geschrieben war, deren Aufnahmen sich aber immer wieder verzögerten. Entspannter gastierte Rory für seinen Freund Ronnie Drew bei der großen Dubliners-Retroperspektive "30 Years A Greying" mit seinem "Barley And Grape Rag" von seinem 1976er Klassiker "Calling Card". 1994 half Rory der jungen irischen Rockband Energy Orchard mit zwei Titeln, spielte auf Samuel Eddy´s "Strangers On The Run" und konnte für ein ambitioniertes Projekt des Jack Bruce-Lyrikpartners Pete Brown gewonnen werden: "The Peter Green Songbook". Rory intonierte auf diesem Tribute mit Elan und Sensibilität die Fleetwood Mac - Titel "Leaving Town Blues" und "Showbiz Blues", begleitet von Rich Newman und Pianist John Cook, neben Blues-Legenden wie Snowy White, Savoy Brown, Arthur Brown, Foghat und Spooky Toth. Die Aufnahmen wurden zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht. |
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