Edged in Blue

Quelle:

Bluesnews, Ausgabe 24 vom Jan. 2001
Danksagung:

Herzlichen Dank an den Verfasser, Arnd Müller-Wachowsky,
für die Erlaubnis, den Bericht hier veröffentlichen zu dürfen


Edged In Blue

Am 14. Juni 1995 starb der irische Sänger und Gitarrist Rory Gallagher und mehr als fünf Jahre später stellt sein Tod für Musik-Fans immer noch einen herben Verlust dar.
Gallagher vereinte mit einer unglaublichen Intensität Blues und Rock - und legt man eine seiner zahlreichen Platten auf oder besser in den CD-Player ein, wird deutlich, dass er in dieser musikalischen Disziplin auch heute noch einer der Ausnahmemusiker dieses Genres war und eigentlich noch ist. Denn jeder neue Act, der sich im weiten Feld zwischen Blues und Rock tummelt, wird fast zwangsweise mit Rory Gallagher verglichen.
Von Arnd Müller- Wachowsky

Wie beliebt Rory Gallagher nicht nur bei Musikfreunden, sondern auch bei seinen Kollegen war, zeigte etwa ein Tribute-Konzert, das am 30. November 1996 im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich des 50. Geburtstags der Gitarren-Company Fender stattfand. Im Wembley Conference Centre traten damals u. a. Peter Green (ExFleetwood Mac) mit seiner Splinter Group, Metal-Master Yngwie Malmsteen, ExCream-Basser Jack Bruce, The Hellecasters und Gitarren-Legende Hank Marvin von den Shadows auf. Ein echter Star wie die hier Genannten war Gallagher eigentlich nie, und das lag sicherlich daran, dass er schon Ende der 60er Jahre eher ein Traditionalist war, wenn man bedenkt, welche Veränderungen in der Pop-Welt vonstatten gingen:
Jimi Hendrix eröffnete mit seinem frischen und unkonventionellen Sound der Rock-Musik neue Möglichkeiten, Led Zeppelin mit Jimmy Page definierten den Begriff Hardrock neu und andere Heavy-Truppen wie die klassisch inspirierten Deep Purple oder Black Sabbath mit ihren düsteren Gitarren-Riffs standen ebenfalls in den Startlöchern.

Auch Gallagher entwickelte sich zu jener Zeit mit seiner ersten Band Taste in Richtung Rock, zeigte sich aber relativ unbeeindruckt von diesen teils revolutionären Umwälzungen -seine Blues-Roots waren damals schon unüberhörbar. Hierin ähnelte er dem Texaner Johnny Winter, der etwa zeitgleich -ebenfalls von einem starken Blues-Background geprägt das gute alte Zwölftakt-Schema mit Rock-Energie aufpeppte und damals eine neue, aufregende Richtung einschlug. Wie bei Winter ist es auch bei Gallagher die beeindruckende Intensität, mit der er an das Thema Blues & Rock heranging.
Taste

Rory Gallagher (*02. März 1948, Ballyshannon, Republik Irland) startete seine Laufbahn als Profimusiker bereits sehr früh in den 60er Jahren. Erste Station war die Fontana Show Band, die sich später in The Impact umbenannte. Mit der Gruppe unternahm der damals Sechzehnjährige schon größere Tourneen, die ihn von der irischen Stadt Cork - seine Familie war hier bereits in den 50ern hingezogen - bis nach
Deutschland und Spanien führten. Richtig los ging es für Gallagher aber erst 1965 mit der Gründung des eigenen Power-Trios Taste. Gallagher und seine Band waren ständig on Tour und nach diversen Umbesetzugen kristallisierte sich 1968 mit Bassist Richard McCracken und Drummer John Wilson eine feste Besetzung heraus. Neben Tourneen durch England und Deutschland spielte Taste auch in den USA und Kanada - hier im Vorprogramm der aus Cream hervorgegangenen Supergroup" Blind Faith mit Eric Clapton, Ginger Baker und Steve Winwood. Den Endpunkt der Karriere von Taste bedeute der Auftritt beim legendären Festival auf der Isle Of Wight 1970, bei dem u. a. Jimi Hendrix auftrat.
Dass Taste damals eine überzeugende Live-Band war, zeigt die CD Live At The Isle Of Wight!"; Gallagher beeindruckt auch aus heutiger Sicht durch sein virtuoses Gitarrenspiel. Taste gingen auseinander, obwohl mit dieser Gruppe ein absolut interessanter Act am Start war, wie man auch auf dem StudioAlbum On The Boards" nachhören kann, der teilweise sogar in Richtung Jazz tendierte. Wie dem auch sei - Gallagher machte weiter und die Mischung aus Rock und Blues, die er mit Taste gespielt hatte, war die Basis seiner weiteren Karriere.
          Solo

1970 beschloss Gallagher, mit Willgar Campbell (dr) und Gerry McAvoy (b), der bis dahin bei Deep Joy spielte, unter eigenem Namen weiterzumachen. Ein Jahr später erschien das selbstbetitelte Debüt-Album, auf dem sich Einflüsse aus Rock, Blues, ein wenig Folk, ein bisschen Country und irische Volksmusik vereinen. Nach einem weiteren Studioalbum (Deuce") erschien 1972 Live! In Europe", das Gallagher Platin-Verkäufe und einen Preis als Musician Of The Year" in der Zeitschrift Melody Maker" einbrachte. Noch im selben Jahr verabschiedete sich Drummer Campbell von der Band, der durch Rod De'Ath ersetzt wurde. Außerdem sorgte nun Keyboarder Lou Martin für neue Akzente in Rorys erdigen Blues-Rock-Songs. In dieser Besetzung spielte die Band ihre vielleicht besten Alben ein, Tattoo" und Irish Tour" - mehr zu diesem legendären Live-Album weiter unten!

1976 verließen Martin und De' Ath die Band, neues Mitglied wurde Ted McKenna (dr) von der Sensational Alex Harvey Band. Im selben Jahr spielte Gallagher am 6. Oktober in Deutschland ein Rockpalast-Konzert, das im Fernsehen übertragen wurde. Dem Rockpalast blieb Gallagher weiterhin verbunden. So eröffnete er 1977 die I. Rocknacht in der Grugahalle in Essen und beim ersten live übertragenen Rockpalast Open-Air von der Loreley am 28. August 1982, bei der die Jam-Session mit David Lindley, Eric Burdon und BAP stattfand, war er ebenfalls dabei.
In den 80ern veröffentlichte Gallagher im Vergleich zu den Jahren zuvor nur wenige Alben. 1981 kam mit Brendan O'Neil ein neuer Schlagzeuger in die Band, mit dem die Platte Jinx" aufgenommen wurde. 1983 spielte Rory auf dem gleichnamigen Debütalbum von Box Of Frogs", ein Projekt, an dem Gitarrenspezialist Jeff Beck und einige von Becks alten Kollegen von den Yardbirds beteiligt waren. Auch zu Beginn der 90er war Gallagher aktiv und 1991 erschien das letzte reguläre Studioalbum Fresh Evidence". Die Platte wurde übrigens auf dem von Gallagher damals gegründeten Label Capo veröffentlicht. 1992 wurde Drummer O'Neil durch Richard Newman ersetzt und gleichzeitig - nach über 20 Jahren - schied Bassist McAvoy aus. Ihren letzten Gig mit Gallagher spielten O'Neil und McAvoy während der Amerika-Tour 1991 in New York. Für McAvoy kam David Levaey in die Gruppe; außerdem spielte mit James Leverton wieder ein Keyboarder mit. Was Rorys Line-Up betrifft, darf man auch nicht den Harp-Spieler Mark Feltharn vergessen, der auf verschiedenen Gallagher-Platten immer mal wieder als Gastmusiker zu hören ist. Rory Gallagher hatte noch einige Pläne: Er wollte zwei Alben aufnehmen, ein akustisches und ein elektrisches, bei dem u. a. auch Guns-N'-Roses-Gitarrist Slash mitspielen sollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Während einer ausgedehnten Europa- Tournee erkrankte Gallagher ernsthaft und verstarb am 14. Juni 1995 im King's College Hospital in London an den Folgen einer Leber-Transplantation.

Irish Tour

Will man sich ein Bild machen über Gallaghers Bühnen-Präsenz und die Power seiner Band Mitte der 70er Jahre, sollte man unbedingt in das Live-Album Irish Tour" reinhören. Die Mitschnitte vom Januar 1974, aufgenommen in Belfast, Dublin und Cork, gehören für Rock-Fans zu den populärsten Live-Platten der 70er Jahre und bieten Gallagher pur. In durchschnittlich 200 Auftritten pro Jahr war das Trio zu einem gut eingespielten Live-Act gereift, der Bluesrock vom Feinsten bot. Die erste Nummer, Cradle Rock", beginnt mit einem energetischen Gitarrensolo, schließlich steigen Bassist McAvoy, Drummer Rod De' Ath und Keyboarder Lou Martin ein. Anschließend folgt der Blues-Klassiker I Wonder Who", bei dem Gallagher sich in glänzender Spiellaune präsentiert. Dass er auch als Komponist sein Handwerk verstand, zeigen seine eigenen Nummern, wie das rockige Tatto' d Lady" und das balladeske A Million Miles Away" - eine der Gallagher-Nummern schlechthin. Dass der irische Gitarrist auch ein As an der Slide-Gitarre war, zeigt die Nummer Who's That Coming".

Edged In Blue

Auf Irish Tour" findet sich auch die J.-B.-Hutto-Nummer Too Much Alcohol" - ein Hinweis, dass sich Gallagher für die frühen Bluesmen interessierte. Ein weiterer Einfluss war etwa der legendäre Son House, dessen Nummer Empire State Express" von Gallagher auf dem 91er Album Fresh Evidence" geschmackvoll interpretiert wurde. Als weitere Einflüsse nannte Gallagher einmal Leute wie Robert Johnson, Robert Nighthawk, Johnny Young und Earl Hooker. Natürlich spielten für den EGitarristen Gallagher noch eine ganze Reihe weiterer Musiker eine wichtige Rolle, wie Albert Collins, Buddy Guy und B.B. King. Außerdem hatte der Ire die Gelegenheit, mit einigen seiner großen Vorbilder zu jammen. In den 70ern spielte er in London verschiedene Sessions, u. a. mit Albert King, Muddy Waters und Howlin' Wolf, die auf verschiedenen Platten dokumentiert sind. Bemerkenswert ist sicher auch seine Teilnahme an den Sessions mit Rock-'n'-Roll-Legende Jerry Lee Lewis. Weiterhin stand Rory später noch einmal mit Albert King 1977 in Montreux auf der Bühne.

Gallagher war auf der Gitarre sicher ein Virtuose, was er sich jedoch von den alten Bluesern abschaute, war deren Spontaneität: Traf er mal eine Note nicht 100%ig, glich er das durch seine intensive Spielweise wieder aus. Denn in technischer Hinsicht war Gallagher - hört man genau hin - nicht immer ein absolut sauber agierender Gitarrist. Stellenweise ging er sehr kantig und rau zur Sache; für Gallagher zählte eben mehr der Ausdruck auf dem Instrument.

Against The Grain

Gallagher gehörte niemals zu den ganz Großen des Business, was sicherlich an seiner stets gleichbleibenden stilistischen Ausrichtung auf den Blues-Rock zurückzuführen ist. Single-Erfolge konnte er nie verzeichnen, Gallagher war ein Album-Verkäufer. Live war er zudem ein Garant für einen kurzweiligen Abend und erspielte sich im Laufe der Zeit eine treue Anhängerschaft, die an ihm gerade seine unspektakuläre Art mochte. Gallagher stand für Kontinuität, und das nicht nur in musikalischer Hinsicht. Jeans- oder Lederjacke, kariertes Hemd, die abgewetzte Fender Stratocaster - das waren in seiner Karriere stets seine optischen Markenzeichen. Insgesamt verkörperte er mit seiner Musik und der Optik den ungekünstelten und erdverbundenen Blues-Rocker, der weder für Skandale sorgte, noch sonstwie in irgendeiner Weise in den Medien auffiel. Über Gallagher ist nur wenig Persönliches bekannt - dieses Thema klammerte er in Interviews gerne aus. Bekannt ist lediglich, dass der in Chelsea, London, lebende Musiker niemals verheiratet war und auch keine Kinder hatte. So unscheinbar Gallagher wohl im Privatleben war, so sehr stand er im Studio und auf der Bühne im Mittelpunkt. Er war die Hauptfigur und darüber gab es keine Zweifel", sagte Bassist McAvoy einmal in einem Interview. Und es gab keinen anderen Weg, wie es hätte funktionieren können."

Soviel zur History von Rory Gallagher. Seine Musik ist auch heute noch lebendig; so werden seit 1998 peu a peu die originalen Gallagher-Alben, teilweise mit Bonustracks versehen, wiederveröffentlicht. Zu den bemerkenswertesten posthum erschienenen CDs zählt sicherlich BBC Sessions" von 1999. Die Platte mit BBC-Mitschnitten, die bis auf eine Ausnahme in den 70ern aufgenommen wurden, verdeutlicht noch einmal Gallaghers Intensität als Musiker. Diese CD ist empfehlenswert, wie fast alle Gallagher-Scheiben, vor allem diejenigen aus den 70er Jahren. Wer sich für Blues-Rock interessiert, kommt an Rory Gallagher auch über fünf Jahre nach seinem frühen Tod nicht vorbei.


Discographie

Rory Gallagher solo

Rory Gallagher (1971)
Deuce (1971)
Between Belfast and Dublin (1971)
Live! In Europe (1972)
Blueprint (1973)
Tattoo (1973)
The Best Years (1973)
Irish Tour (1974)
The Story So Far (1974)
Sinner And Saint (1975)
Against The Grain (1975)
Calling Card (1976)
Photo-Finish (1978)
Top Priority (1978)
Stage Struck (1980)
Jinx (1982)
Defender (1987)
The Best Of Rory Gallgher & Taste (1988)
Fresh Evidence (1990)
Edged In Blue (1992)
G-men Bootleg Series -Vol. 1 (1992)
A Blue Day For The Blues (1995)
BBC Sessions (1999)

Rory Gallagher mit Taste

Taste (1969)
On The Boards (1970)
Live Taste (1971)
Live AtThe Isle OfWight (1972)
Taste First (1972)
In the Beginning -An Early Taste or... (1974)
Take It Easy Baby (1976)
In Concert (1977)
The Best Of Taste (1994)
Taste Anthology (1994)
Rory Gallagher und ...

Mike Vernon -Bring It Back Horne (1971)
Muddy Waters -The London Sessions (1972)
Jerry Lee Lewis -The Session 1973 (1973)
Chris Barber Oral That Fratle Rat (1974)
Muddy Waters/Howlin' Wolf -London Revisited (1974)
Muddy Waters -London Revisited (1974)
Albert King -Live (1977)
Joe O'Donnell -Gaodhal's Vision (1977)
Lonnie Donegan - Putting On The Style (1978)
Albert King -Albert Live (1979)
Mike Batt -Tarot Suite (1979)
Box Of Frogs -Box or Frogs (1984)
Gary Brooker -Echos In The Night (1985)
Box or Frogs -Strange Land (1986)
Chris Barber The Outstanding Album (1987)
The Fureys & Davey Arthur -The Scattering (1989)
Oavy Spillane -Out OfThe Air (1989)
Phil Coulter -Words And Music (1989)
Muddy Waters -Chess Box (1990)
VA. Reading Festival (1990)
Still Little Fingers -Flags & Emblems (1991)
The Dubliners -30 Years A-Greying (1992)
Chris Barber& Band -The OutstandingAlbum (1993)
Samuel Eddy -Strangers On The Run (1995)
Energy Orchard -Pain Killer ( 1995)
Dubliners -Milestones (1995)
V. A -London Blues Festivals 1970-1972 (1998)
VA. -Black & White Blues (2000)

Zusammenstellung: Arnd Müller-Wachowsky