Dieser tolle Zeitungsartikel stammt aus "Die Zeit", Ausgabe  vom 16.12.1994, und wurde verfasst von
Christoph Dieckmann.

Bei Rückfragen bitte ich um Kontaktaufnahme.

Rory Gallagher, lebende Legende des Bluesrock,
besucht seine ostdeutschen Fans

Man wird ja nicht gesünder mit den Jahren

Dann kamen die Bullen, gleich hinterm Kottbuser Tor. Fränkie, Alf und Uschi waren gerade so schön in Ekstase. Uschi knackte Bierchen wie ein Mann, Fränkie hob das seine mit dem Ruf "Na denn!" und Alfi gestand, was zu dieser späten Stunde in der U-Bahnlinie 2 jedes Randberliner Jeans-und-Kutten-Herz erfüllte: Rory ist der Größte!

War er immer, sagte Frankie.
Bleibt er ooch, sagte Uschi. Weeßte noch, Rockpalast? Hab ick damals noch bei Maiki in Leipzig jekuckt, janz beschissenet Bild.
Rockpalast bin ick abjefault, sagte Alfi. Seitdem war voll jebongt: Rory bringts! Weeßte noch, die Irish Tour? Hab ick in Warschau schwarz jekooft, für zweihundert.

Ja, wissen wir noch. Wir kennen alle Platten und lieben sämtliche Rorytäten, seit uns vor zwanzig Jahren das Westradio einen Gitarrensturm in die Harzer Kammer blies. "Walk on hot coals" hieß das Werk, ein Bluesrock-Marathon, durchrast von einem irren Iren: Rory Gallagher. Vormals hatte er "The Taste" geführt, die irischen "Cream". Und galt damals schon als Antistar und unser Kumpel in Irland, unbegabt zur Hybris des pompösen Rock´n Roll nach Woodstock, wie er sich eitelte in Dekadenz bis die Punker den Prunken in die goldene Schüssel schissen.

Rory aß immer von der Pappe. Als Blueser tat er Schlichtheit dar: Turnschuhe, Jeans, Karohemden, Bier. Seine Gitarren waren alt, seine Helden älter.

Mit Muddy Waters und Howlin Wolf hat er 1972 bei den berühmten London Sessions noch selbst gespielt. Gallaghers Platten sind klassische Musik für Gitarre, Drums und Bass, rauh und reif, nicht erpicht auf das, was momentan die Welt verspricht. Statt sie zu erobern hat Rory sie gesehen. Er tourte unentwegt, allein siebenundzwanzigmal durch die USA. Die ihn lieben, lieben ihn sehr. Gallagher, erzürnt über das wuchernde bootleging, beklaute seine Diebe und brachte 1992 weit unter Schwarzpreis die "The G-Man-Bootleg-Series" (3 Live-CDs) auf den Markt.

Seither: Funkstille. In Westberlin ward Rory letztens 1987 gesichtet; da nahm das Ossi-Live-Ohr noch mit Monokel und Jürgen Kerth vorlieb. Rory weiß, wer nach ihm lechzt, und spielt jetzt in Leipzig und Erfurt, der DDR-Bluesmetropole. Der Himmel ist ihm dort gewiß. In Berlin hat er Schnupfen. Es ist kühl hier, sagt Rory. Frierst Du auch? Liegt das an diesem Hotelzimmer? Man wird ja nicht gesünder mit den Jahren. Dauernd fliegen, die Ohren, klatschnass aus dem Konzert, draußen Autogramme schreiben, die Leute qualmen, Asthma, ich bin ja kein grüner Fanatiker, aber wenigstens möchte ich atmen.

Dein Konzert gestern war so ein Kraftpaket. Wie macht man das - 45 sein und hungrig bleiben?
Genau so: hungrig bleiben. Ich esse nie vor Konzerten. Das macht die Nerven scharf. Drogen? Ich hab´ mein Lebtag nicht mal geraucht. Wenn Du siehst, wie Freunde kaputtgehen, Paul Kossoff von den Free... davor hatte ich Angst. Und diese mystischen Drogenbands klangen immer schlapp.

Er ist müde. Er hat heute frei. Er hing bis früh um sieben an der Bar. Seine Leute verschwanden beizeiten im Bett, da saß er mit den jungen Vorband - Iren von Energy Orchard zusammen. Die Gitarre ging herum, sie tranken und sangen. Simple songs, sagt Rory, das war schön. In Amerika würdigen die Stars ihre opener keines Blickes. Idiotisch. Die müssen ja sehr unsicher sein. Ich war fünfzehn, da spielten wir in London vor den Byrds. David Crosby kam zu mir und fragte: Borgst Du mir diese Gitarrenfigur? Ich hatte Vorbands, die sind heute so groß - nimm ZZ Top. So geht´s eben. Ich bin gern populär, aber ich heule doch nicht wie die Kollegen, die umkommen, wenn sie nicht jede Nacht auf MTV erscheinen. Meine alten Helden konnten kaum je `ne Platte aufnehmen, und daß ein Junge aus Irland mit Blues draußen Erfolg hat, war schien sehr unwahrscheinlich.

Der Kaffee kam. Das Hotel war wirklich kalt. Er hat viel erzählt an diesem Nachmittag - in langen Grübelsätzen, vom britischen Fussball, von Dylan, Cooder, Lindley, von Neil Youngs und Dennis Hoppers seltsamen Rechtsanwandlungen, von ruhmvergeßnen Größen wie Doug Sahm, John Hammond und Link Wray, von Elvis Costello, Randy Newman und ähnlichen Unheimlingen, die Songs aus dem Gegenteil ihrer wahren Gefühle machen.

Rory ist straight wie ein Labour-Aktivist. Ich spiele heute besser als vor zwanzig Jahren, sagte er. Das mußt Du nicht hören, aber ich weiß es. Blues schaut in sich selbst. Rock´n Roll ist Show; das kann man kalkulieren. Blues ist Religion. Ich bin jetzt weniger nervös mit mir. Ich denke nicht zynisch über die Kinder. Gut, sie wachsen anders auf. Sie haben nie erfahren, was ein Schwarzweißfernseher wert sein kann, ein Tape-Recorder. Aber junger Geist bleibt immer gleich. Jahrelang hab´ ich das Radio nicht angemacht. Die Zwei-Finger-Synthesizer-Bands... jetzt finde ich wieder gute neue Sachen, bloß oft schlecht produziert. Diese jungen Computeringenieure sagen dir: Okay, spiel Deine Sachen, und geh nach Haus, ins Hotel, ich mixe das dann. Nein, sage ich, ich bleibe und kontrolliere alles bis zum letzten Ton. Und nimm die große Trommel bitte auf mit dem Hall der alten Sachen von Howlin´ Wolf. Fragt der Typ doch glatt: Wer ist Howlin´ Wolf?

Unten im Foyer sitzt seit sieben Stunden ein Rory-Altfan mit Plattenstapel und wartet auf den Meister. Wenn Rory Mensch ist, muß er kommen, gleichwie gestern abend zweitausend alte Bluesrock-Ritter zu Rory ritten - fünfhundert weniger, als theoretisch in "Huxleys Neuer Welt" an der Hasenheide Platz finden. Aber der Laden barst. Denn der Blues schreit nach Bier. Das formt die Leiber. Gallagher macht da keine Ausnahme. Da sprang statt des irenrot gelockten Jünglings ein gelebtes Leder auf die Bretter, daß man erschrak, bis Rory die Revival-Angst vertrieb und die Slide-Gitarre sang und brüllte "Shadow Play", und den "Bullfrog Blues". Zweimal wird er wieder herausgetobt. "A Million Miles Away", dann ist Schluß. Die Ritterschaft zieht ab im Stande des Heils.. O Alter, diß is noch Musik!

Dann kamen die Bullen, gleich hinterm Kottbuser Tor. Fahrscheinkontrolle! Uschi hatte, Fränkie keineswegs, Alfi desgleichen. Der Kontrolletti sprach: Dann also Ihre Personalausweise bitte! Wie war das Konzert? - Spitzenmäßig, sagte Fränki. Alfie: Und billjer wie im Westen U-Bahnfahren. Und wieder Franki, hinterrücks mit Uschis Fahrkarte ausgestattet: Ick hab´ mein Fahrschein jefunden, Herr Wachtmeister. Herr Wachtmeister hob die Braue, beäugte scharf die drei bumsfidel verwüsteten Gestalten, und plötzlich fand er sich bestürzt von dem Gefühl, hier sei sein Herz gefragt. Wär` ja selber gern hingegangen, sagt er bekümmert. Hatte leider Dienst. Könnte mir in` Arm treten. Haut rein, Jungs. Tschö.

That´s interesting, sagt Rory, als er die Geschichte hört. I mean: That´s good.